Instrument und Klangraum

Das Instrument Orgel ist fester Bestandteil des Raumes, in dem es steht, oftmals unverrückbar und eine Herausforderung für den Organisten. Denn anders als der Orchestermusiker, der sein eigenes, tatsächlich ihm gehörendes Instrument kennt, es täglich zur Verfügung hat und es nach dem Konzert einfach wieder mit nach Hause nehmen kann, findet der Organist die Kirchen- oder Konzertsaalorgel gebunden an den Raum vor. Er muss sie und den Raum als Gegebenheit annehmen, sich immer wieder neu auf die unterschiedlichen Orte und die unterschiedlichen Orgeln einstellen und dabei jedes Mal seine Fertigkeiten und seine Anpassungsfähigkeit auf die Probe stellen.

Jedes gespielte Orgelstück lebt dabei vor allem von drei Dingen: dem Interpreten, dem Instrument und der Akustik des Raums, in welchem es erklingt. Alle drei hängen eng miteinander zusammen und beeinflussen die Wirkung der Musik maßgeblich.

So kann es auch durchaus vorkommen, dass die gespielte Interpretation eines Orgelwerks gar trotz herausragender technischer Virtuosität des Spielers unter Umständen dem Instrument und der Akustik des Raums nicht gerecht wird. Die Klangvorstellung eines Stücks auf Instrument und Raum zu übertragen, ist nach Erledigen der „Hausaufgaben“, also dem Einüben des Stückes, der wichtigste Schritt für den Interpreten. Doch wie kann das gelingen, wo doch jede Orgel samt Raum ein Unikat darstellt? Hier ist neben Feingefühl, technischer Versiertheit auch Kompromissbereitschaft eine wichtige Tugend. Denn nicht jede Art von Orgelmusik kann auf jedem Instrument adäquat wiedergegeben werden.

Schwierigkeiten bei der Umsetzung

Insbesondere historische Instrumente haben beispielsweise einen zu geringen Tonumfang für bestimmte Werke und selbst moderne „Universalorgeln“ kommen bei so manchem Werk an ihre Grenzen hinsichtlich der vorhandenen Tasten. Im Allgemeinen sind die meisten Orgeln hierzulande für gewöhnlich mit einem Manualumfang von 56 Tasten (C-g3) und einem Pedalumfang von 30 Tasten (C-f1) ausgestattet. Damit lassen sich die meisten Orgelwerke darstellen – Schwierigkeiten können jedoch beispielsweise gelegentlich bei französischer Literatur auftreten. Ist ein Ton nicht vorhanden – sei es bedingt durch den Umfang von Manual oder Pedal (häufigster Fall) oder durch technische Mängel bis hin zum dreisten Nichtvorhandensein einzelner Register oder Pfeifen – so sollte dieser oder unter Umständen die zusammenhängende Phrase nach Möglichkeit oktaviert wiedergegeben werden. Bei technischen Mängeln ist natürlich deren Beseitigung in erster Linie zu verfolgen. In extremen Fällen muss gegebenenfalls auch auf den tonal am nächsten liegenden vorhandenen Ton ausgewichen werden, wenn andere Stimmen in der linken Hand, der Melodieverlauf oder der Spielfluss eine andere Lösung verhindern. Gelegentlich sind auch kuriose Varianten wie das Singen des fehlenden Tons oder das Spiel mit Ellenbogen, der Nase oder anderen Hilfsmitteln anzutreffen, bilden jedoch eher die Ausnahme. Sind schlussendlich alle Möglichkeiten, aus welchen Gründen auch immer, verwehrt, so bleibt nichts anderes übrig, als in den sauren Apfel zu beißen und den Ton wegzulassen.

Weitere Schwierigkeiten einer angemessenen adäquaten Interpretation bietet das Instrument in sehr vielen Fällen durch die Anzahl der Manuale und vor allem durch die Disposition. Bachs Triosonaten sind beispielsweise für eine mindestens zweimanualige Orgel mit Pedal geschrieben worden und sind auf einer einmanualigen Orgel nicht oder nur mit sehr großem „sportlichem“ Aufwand umzusetzen. Manche Orgelwerke verlangen darüber hinaus Register oder Klangfarben, welche nicht jede Orgel zu bieten hat. So klingen romantische Orgelstücke auf Orgeln der Nachkriegszeit, welche von der Orgelbewegung geprägt sind, weit weniger gravitätisch oder gar schrill aufgrund steiler Dispositionen mit hohem Obertonanteil. Umgekehrt stellen die Orgelwerke Johann Sebastian Bachs auf einer typisch deutsch-romantischen Orgel mit pneumatischer Traktur den Spieler ebenso vor technische Schwierigkeiten hinsichtlich des Spiels und der angestrebten Registrierung.

Doch wie ist im Allgemeinen in solchen Fällen zu verfahren? Grundsätzlich muss in jedem Einzelfall zunächst abgewogen werden, ob das gewünschte Orgelwerk auf der Orgel überhaupt oder nur unter Schwierigkeiten umgesetzt werden kann (Ambitus, Anzahl der Manuale, Disposition). Wird nach dieser Prüfung angestrebt, das Werk trotz auftretender Schwierigkeiten umzusetzen, ist Kompromissbereitschaft die wichtigste Haltung, vor allem bei der Registrierung. Hier können verschiedene Ansätze gewählt werden. So ist zunächst eine Registrierung möglichst nah an der vorgeschriebenen oder gewünschten die erste Wahl. Dennoch sollte mit viel Experimentierfreude nach einer Alternative gesucht werden. Häufig sind auch „verrückte“ oder ungewohnte Registrierungen sehr reizvoll. Die Kunst der richtigen Registrierung erfordert neben der Kenntnis der verschiedenen Registerarten ein genaues Kennenlernen des jeweiligen Instruments und vor allem viel Erfahrung, ist aber auch unglaublich interessant und bietet Abwechslung und eine Spielfreude, wie sie kaum ein anderes Instrument hervorzubringen vermag.

Instrument und Raum als Einheit

Neben dem Instrument ist auch der Klangraum von besonderer Bedeutung. Denn häufig wird ein Stück am Spieltisch geübt und auch nur da wahrgenommen. Ist der Raum groß, das Volumen oder der Nachhall somit hoch anzusetzen, so ergibt sich beim Zuhörer ein ganz anderer Klangeindruck von dem gespielten Orgelwerk als direkt in der Nähe der Pfeifen. Auch hier ist somit eine Anpassung des gespielten Stücks an den Raum, in dem es erklingt, erforderlich. Neben einer dem Charakter des Stücks sowie dem Raum angemessenen Registrierung ist vor allem auch das Grundtempo entscheidend. Wer hier in einem großen Raum als Organist beim Zuhörer keinen „Klangbrei“ abliefern möchte, sollte die Geschwindigkeit des Spiels gegebenenfalls drosseln, um die Transparenz und Klarheit der Komposition nicht zu gefährden. Die Königsdisziplin besteht vor allem darin, sich als Spieler hörtechnisch in den Zuhörer zu versetzen und so seinen eigenen Hörschwerpunkt in den Raum zu transferieren. So können Klang und Raum eine Einheit bilden und lebendiger Raumklang eine bereichernde Erfahrung sein.

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